
New Work im Gesundheitswesen – wie kann das Konzept bei der Gewinnung von Fachpersonal helfen?
Der Fachkräftemangel in Deutschland ist allgegenwärtig und in jeder Branche zu spüren. Bewältigungsstrategien gibt es in den klassischen Arbeitswelten der großen Unternehmen viele. New Work ist hier der Schlüssel für eine gesteigerte Attraktivität des Arbeitgebers, weniger Fluktuation, eine höhere Identifikation des Arbeitnehmers mit dem Unternehmen und eine gesteigerte Zufriedenheit – denn wir wissen, glückliche Menschen sind die besseren Mitarbeiter:innen. In diesem Bereich wird bereits viel getan, um als Unternehmen im Konkurrenzkampf um Fachkräfte bestehen zu können. Betrachtet man hingegen das Gesundheitswesen, so wird klar, dass wir hier noch ganz am Anfang einer Mitarbeiterzugewandten neuen Arbeitswelt stehen.
Studien zeigen, dass wir im Jahr 2035 1,8 Mio. unbesetzte Stellen im Gesundheitswesen haben werden, da die körperliche Belastung hoch ist und nur wenige sich die Ausübung ihres Berufs bis zur Rente vorstellen können. Ausgestiegene würden laut Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ einen Wiedereinstieg unter den richtigen Arbeitsbedingungen nicht ausschließen und Teilzeitkräfte könnten sich unter den richtigen Bedingungen eine Erhöhung der Stunden vorstellen. Das Pflegekräftepotenzial der Rückkehrer beträgt laut Hochrechnung bis zu 583.000 Vollzeit Pflegekräfte, die für eine gute Pflege und zur Entlastung der vorhandenen Pflegekräfte sorgen könnten.

Die zehn wichtigsten Arbeitsbedingungen, die sich für eine Rückkehr oder Stundenerhöhung ändern müssten bewerten die Teilnehmer der Studie wie folgt:
- Fairer Umgang unter Kolleg/innen
- Vorgesetzte, die wertschätzend und respektvoll sind
- Bedarfsgerechte Personalbemessung
- Vorgesetzte, die sensibel für meine Arbeitsbelastung sind
- Nicht unterbesetzt arbeiten müssen
- Mehr Zeit für menschliche Zuwendung
- Vereinfachte Dokumentation
- Verbindliche Dienstpläne
- Augenhöhe gegenüber der Ärzteschaft
- Fort-/Weiterbildung = höheres Gehalt
Am meisten Veränderung wünschen sich die Befragten im Bereich Organisation und Führung und im Bereich des Beruflichen Selbstverständnis und der Anerkennung. Erstaunlicherweise sind dies genau die Themen, die durch New Work Konzepte verändert werden.
Was bedeutet New Work und wie kann dadurch der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen bewältigt werden?

Bei New Work geht es insbesondere darum, die Mitarbeitenden in den Vordergrund zu stellen und der Frage nachzugehen: „Welche Arbeit wollen wir wirklich tun?“. Hieraus entsteht ein ganz neues Verständnis von Arbeit, in dem es nicht darum geht, dass die Führungskraft Rahmenbedingungen vorgibt und Aufgaben delegiert, vielmehr geht es um die persönliche Selbstbestimmung des Individuums und die kollektive Selbstbestimmung des Teams der Organisation – Selbstorganisation. „Eine Handlung ist selbstbestimmt, wenn der Handelnde sich mit den Wesenselementen identifiziert, aus denen sie entspringt; sie ist erzwungen, wenn der Handelnde sich von den Wesenselementen dissoziiert, das die Handlung erzeugt oder veranlasst“ (Bergmann, 2005).
Mit Wesenselementen sind Rahmenbedingungen wie Strukturen, Prozesse, Werte oder die Führungskultur und Hierarchien gemeint. New Work bedeutet also mehr Selbstbestimmung über Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsinhalte, Arbeitsumfang, Arbeitsdauer und Arbeitspartner. Im Umkehrschluss bedeutet dies eine Demokratisierung der Führung – Management- und Führungsaufgaben werden nicht auf einer hierarchischen und leitenden Ebene wahrgenommen, sondern erfolgen von allen Mitarbeitenden, gemeinsam im Kollektiv.
Die 14 Wesenselemente der New Work Kultur
Laut Patrick Merke gibt es 14 Wesenselemente der New Work Kultur, auf die er in seinem Buch "New Work in Healthcare – Die neue und andere Arbeitskultur im Gesundheitswesen" (2022) eingeht.
Individuelle Selbstbestimmung:
- Bedürfnisorientierung: Die Grundbedürfnisse nach Anerkennung und Wertschätzung, Fairness, Selbstwirksamkeit, Sicherheit, Sinnorientierung, Transparenz und Verbundenheit sollten erfüllt werden. Denn nur wenn Mitarbeitende Wertschätzung erhalten, können sie diese Wertschätzung und das Wohlbefinden an die Patienten weitergeben.
- Sinnstiftung: Die Sinnhaftigkeit der Arbeit ist besonders im Gesundheitswesen gegeben, denn man hilft Menschen bei der Genesung. Die aktuellen Arbeitsbedingungen sorgen dafür, dass Mitarbeitende aktuell gegen Ihre eigenen Werte und Bedürfnisse arbeiten, da Ihnen die Zeit fehlt, diese umzusetzen.
- Selbstverantwortung: Mehr Freiheit bedeutet gleichzeitig auch mehr Selbstverantwortung, da Mitarbeiter:innen sich selbst organisieren. New Work braucht demnach Mut und die Bereitschaft zur Selbstverantwortung!
- Kompetenzen und Stärken: Wenn äußere Rahmenbedingungen, wie Vorgaben und Anweisungen durch die Selbstorganisation entfallen, sind Fachkräfte auf Ihre eigenen Stärken und Kompetenzen angewiesen. An diesen sollte daher individuell gearbeitet werden – positiver Nebeneffekt: die Arbeit an den persönlichen Stärken löst Gefühle der Vorfreude, Lebendigkeit und Motivation hervor.
- Selbstreflektion (Selbstbild): Nur wer sich selbst kennt und weiß, welche Stärken und Schwächen er hat, kann im Umkehrschluss ausgewogen und rücksichtsvoll mit seinen Mitmenschen umgehen.
- Positives Menschenbild: New Work bedeutet gleichzeitig die Arbeit im Team. Hier spielt Vertrauen eine große Rolle, denn nur wenn ich davon überzeugt bin, dass meine Teammitglieder am gleichen Strang ziehen, agiere ich zielführend im Team. Denke ich dagegen, dass meine Teammitglieder sowieso nur faul sind und die ganze Arbeit dann wieder an mir hängen bleibt, versperre ich mir automatisch die Option auf reibungslose Teamarbeit.
- Mindset (Weltbild): Jede Fachkraft muss sich zunächst selbst die Frage stellen „Gelingt mir der Ausbruch aus dem regulatorischen Räderwerk und überkommenden Denkstrukturen?“. Besonders die Führungskräfte müssen sich die Frage stellen: „Wie kann ich meine Stelle selber abschaffen?“. „Will ich wirklich, wirklich New Work?
Kollektive Selbstbestimmung:
- Teamarbeit: Schon heute kennen wir das Problem, niemand möchte mehr auf Stationen in Ärzte oder Pflegeteams denken und arbeiten. Dabei können wir aufgrund der Unterteilung gar nicht von wirklichen Teams sprechen, New Work bedeutet ganzheitlich in interprofessionellen Teams zusammen zu arbeiten.
- Vertrauens-Beziehungen: Ohne Vertrauen keine Teamarbeit – vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen überwinden das Miteinander und führen zum Füreinander da sein. Das neue Motto: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!“
- Kommunikation: Eine wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe, aktives Zuhören, Resonanz-Feedback, Fehlerkultur, wertschätzende Konfliktkultur, Klarheit, Lösungsorientierung, Meta-Kommunikation, Respekt, Transparenz, Wertschätzungs- und Anerkennungsrituale sind die New Work Kommunikation.
- Entscheidungsautonomie: Diese muss für alle Mitarbeitenden gelten, dezentrale Entscheidungen können von jedem getroffen werden.
- Transparenz und Offenheit stehen über allem, sie reduziert Unsicherheiten durch Unwissenheit und fehlende Informationen, schafft Akzeptanz, durch Nachvollziehbarkeit von Entscheidungsprozessen und nicht zuletzt Vertrauen.
- Lernen und Verändern: Jedes Team kann für sich festlegen was, wo, wann und mit wem gelernt werden soll.
- Verantwortungs-Hierarchie: Eine neue flexible und kompetenzbasierte Verantwortungs-Hierarchie, verteilt Aufgaben auf unterschiedliche, ihren Kompetenzen entsprechenden, Schultern. Die / der Beste in dem Thema soll führen!

„Das geht nicht im Krankenhaus, weil…!“
Haben Sie sich das gerade gedacht, als sie die 14 Wesenselemente der New Work Kultur durchgelesen haben?
Es geht doch und das sogar sehr gut! Das zeigt zum Beispiel das Konzept der Magnet Krankenhäuser, welches aus den USA langsam nach Europa kommt. In den 1980er Jahren war der Fachkräftemangel in den USA ähnlich verheerend wie die Situation in Deutschland heute. Ein Pflegenotstand wurde aufgrund der vielen Fachkräfte in Krankheit, Teilzeit oder der vielen Ausgestiegenen ausgerufen. Allerdings fiel auf, dass einige Krankenhäuser keine Probleme zu haben schienen, ihr Personal zu halten oder neues Personal zu gewinnen. Diese zeichneten sich durch eine Akademisierung des Pflegeberufs, flachen Hierarchien, einer neuen Art zu führen, interprofessionelle Teams, mehr Entscheidungsbefugnissen und Selbstverwirklichung aus. Man stellte fest, dass diese Krankenhäuser nicht nur magnetisch Fachkräfte anzogen, vielmehr zogen sie auch Patienten magisch an. Durch die gesteigerte Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen konnte eine exzellente Pflegequalität erreicht werden. Pflegekomplikationen werden so reduziert und die Patient:innen können das Krankenhaus früher verlassen. Durch die offene Kommunikation können die Angehörigen besser mit einbezogen werden, wodurch auch ihre Zufriedenheit steigt.

Es ist kaum verwunderlich, dass viele der positiven Veränderungen in den Magnetkrankenhäusern dem Konzept des New Work entsprechen. So besteht das Konzept ebenfalls aus 14 Magnetkräften, die durch die Anwendung der in Deutschland bereits bekannten und gelebten New Work Ansätze umgesetzt werden:
- Pflegerische Führung
- Organisationsstruktur
- Managementstil
- Personalpolitik und -programme
- Pflegemodelle, Pflegequalität
- Qualitätsverbesserung
- Interne und externe Ressourcen
- Autonomie
- Vernetzung mit der Kommune
- Pflegende als Lehrende
- Bild der Pflege
- Interdisziplinäre Beziehung
- Fachliche Weiterentwicklung.
„Es geht also doch! New Work im Krankenhaus ist umsetzbar und hilft den Fachkräftemangel zu bewältigen!“
Dies zeigen nicht nur die 20 Akutkrankenhäuser die an der europaweiten Studie „Magnet4Europe" teilnehmen. Ein besonderes Pilotprojekt in Deutschland denkt dieses Konzept noch weiter und ergänzt, wie in den Arbeitswelten seit Jahrzehnten üblich, dass New Work Konzept mit einer neuen Gesundheitswelt. Die Waldkliniken in Eisenberg ziehen Fachpersonal und Patienten magisch an. Hier wurde als natürliche Symbiose und ganzheitliches Konzept nicht nur New Work im Gesundheitswesen umgesetzt, es entstand eine neue Krankenhausarchitektur, die die passende Umgebung für das neue Arbeitsmodell bietet und das neue Denken und Führen unterstützt. Denn:
„Keine Veränderung ist so radikal und tiefgreifend, wie die Veränderung der Umwelt!“
Wir unterstützen Sie ganzheitlich dabei, New Work in Ihrer Klinik einzuführen und die entsprechenden Rahmenbedingungen durch eine New Work Architektur zu schaffen. Hierbei ist uns die Partizipation – die New Work Kommunikation – besonders wichtig, denn – Ihre Mitarbeiter:innen kennen ihre täglichen Herausforderungen am besten und sind demnach die Expert:innen für passende Lösungen. Die Einbeziehung unterschiedlicher Teams verbessert ihre individuelle Gesundheitswelt, sodass alle Fachkräfte nachher mit dem Ergebnis zufrieden sind. Die Identifikation zur neuen Gesundheitswelt und zum Unternehmen wird spürbar verbessert. In verschiedenen Workshopformaten führen wir die New Work Kommunikation in Ihrem Unternehmen ein, damit psychologische Sicherheit und eine offene, vertrauensvolle Kommunikation und Fehlerkultur mit in die neuen Flächen einzieht. Wir begleiten Sie von den ersten strategischen Überlegungen, über die Fachkräftepartizipation im Planungsprozess, die Ausführung und Bauleitung bis zur fertigen Schlüsselübergabe.